Sechs von sieben Titeln errangen die Schalker zwischen 1934 und 1942. Die Glanzzeit des Vereins fiel in die glanzloseste Deutschlands. Ein historischer Zufall oder ließen sich die Knappen missbrauchen? Über 60 Jahre danach fällt eine eindeutige Beurteilung schwer. Zu lange war das Thema ein Tabu.

 

Juli 1940. Über 70.000 Menschen füllen das Berliner Olympiastadion. Euphorie und gespannte Erwartung liegen über dem weiten Rund. Eines der ganz großen Spiele soll es werden, ein Fußballfest. Schalke 04 spielt um seine fünfte deutsche Meisterschaft gegen den traditionsreichen Dresdener SC. Die beiden Mannschaften haben sich nebenan auf dem Reichssportfeld warmgelaufen und betreten unter großem Jubel die mit Hakenkreuzen ausgeflaggte Arena, in der vier Jahre zuvor der farbige US-Sprinter Jesse Owens seine legendären Olympiasiege feierte.

Juli 1940. 1.500 Kilometer weiter westlich. Deutsche Wehrmacht und SS-Verbände säubern in Paris nach dem Blitzkrieg gegen Frankreich den Widerstand, unterdrücken die Bevölkerung. Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland und Polen sind besetzt. Tausenden haben die deutschen Kriegsüberfälle das Leben gekostet. Die Ausrottung der Juden ist in vollem Gange.

 

In Oslo, Brest, Antwerpen und Warschau knistert der Volksempfänger. Überall sitzen deutsche Landser in Bunkern und Unterständen und verfolgen die Übertragung aus dem Olympiastadion der Reichshauptstadt Berlin.

 

Im weiten Rund der Arena ist vom Krieg nichts zu spüren. Die Spieler machen vor der Reichssportführung den Hitlergruß, und das Rundfunkorchester wird die Bilder für die Wochenschau musikalisch unterlegen. Schalke gewinnt 1:0 und erringt zum fünften Mal die Viktoria in einem der schwächsten Endspiele der letzten Jahre.

 

Die erfolgreichsten Zeiten des Ruhrgebietsclubs fielen in die Jahre des NS-Regimes. Sechsmal fuhren die Knappen mit der Viktoria unterm Arm zurück zum Schalker Markt. Und dennoch: Den Schalker Höhenflug als einseitige Bevorzugung und Förderung seitens der Nationalsozialisten abzutun, wäre zu einfach und falsch.

 

Was sagte Kuzorra wirklich?

 

Die Mannschaft erreichte ihre größte spielerische Reife in diesen Jahren. Aber sie stellte sich dem Regime auch nicht kritisch gegenüber. Kuzorra wird mit dem Satz zitiert:“ Wir wollten Fußball spielen, mit was anderem wollten wir nichts zu schaffen haben. Politik und Religion spielten bei uns überhaupt keine Rolle.“

 

Aber auch die folgenden faschistoiden Aussagen von 1936 sollen von Ernst Kuzorra, dem populärsten Spieler dieser Jahre, stammen:

 

„Man hat manchmal gefragt, warum gerade eine Arbeitermannschaft aus dem Industrieort Schalke den höchsten Ruhmestitel, den der deutsche Fußball zu vergeben hat, errang. Arbeiter aber, meine ich, ist ein stolzes Wort. Gerade hier im Gebiet, und Gott sei Dank heute überhaupt wieder in Deutschland.! Jeder Deutscher der seine Pflicht tut, sei es an höchster, sei es an geringster Stelle, ist in dem neuen, weiten, echten Sinne des Wortes ein ‚Arbeiter‘. Der studierende Mensch ist noch zu sehr der Fragende, um die antwortfrohe Entschlossenheit aufzubringen, auf die es im Sport, wie nebenbei auf anderen Gebieten, zum Beispiel der Politik – welchen Beweis liefert hier allein schon Adolf Hitler – vielleicht zu allererst ankommt.“

 

 

Und sein Schwager Fritz Szepan wird von den gleichen Autoren anlässlich der Fußball-WM 1934 in Italien zitiert: „Für uns, ganz besonders für mich, kam nun ein unvergesslicher Augenblick: Ich stand vor Mussolini, Auge in Auge mit dem Duce, oben wehten die Fahnen des Reiches. Das Deutschland- und Horst-Wessel-Lied schwang über den Platz. In dieser Stunde! Versteht ihr, dass das ans Herz geht?“

 

Waren also die berühmtesten Schalker aller Zeiten den Nationalsozialisten doch näher verbunden, waren sie Nazis?

 

Der Schalke-Experte Hans-Dieter Baroth meldet dagegen massive Zweifel an: „Der Sprachduktus und der klare Satzbau Ernst Kuzorras irritieren. Der sprach doch nie so. Die Fußballstars von damals und heute erzählten den Journalisten in langen Gesprächen ihr Leben, die Autoren gossen das Erzählte in eine journalistische Fassung. Da könnte Kuzorra Einiges in den Mund gelegt worden sein.“

 

Und so auch Fritz Szepan. Auch die ablehnende Haltung Kuzorras gegenüber dem Reichstrainer Dr. Otto Nerz spricht gegen die Vermutung, dass der Arbeiterkicker Anhänger arischen Gedankengutes war.

 

Gesichert hingegen erscheint die Erkenntnis, dass Fritz Szepan von der Arisierung eines jüdischen Textilhauses in Gelsenkirchen profitiert hat, welches er zu einem Preis weit unter Marktniveau erwerben konnte. Dies war unter anderem auch der Grund, dass er nicht mehr als Namenspatron für eine Straße in Gelsenkirchen in Frage kam.

 

Sicher ist auch, dass die NS-Sportfunktionäre dem Club keine größeren Steine in den Weg legten. Schalke war immer in bürgerlichen Sportverbänden organisiert und gehörte nie dem linken „Arbeiter Turner u. Sportbund“ (ATSB) oder ähnlichen Verbänden an, die später verboten wurden. Die Herren im Vorstand und der Zeche waren keine ausgesprochenen Gegner der Nationalsozialisten. Man passte sich halt der Situation an und verlegte sich ins Unpolitische.

 

Viele Arbeitersportler des ATSB wurden damals zum Übertritt in DFB-Vereine gedrängt. Sie hatten die Wahl zwischen einem Wechsel auf der einen, oder Repressionen auf der anderen Seite – falls sie das Fußballspielen nicht ganz einstellten. Schalker Spieler standen nie vor solchen Problemen. Die Absichten der NS-Machthaber waren subtil. Die Blau-Weißen sind ein Beispiel dafür, welchen Einfluss konservativ-bürgerliche Kräfte durch die Verbände wie den DFB, und die Vereinsvorstände auf große Teile der einfachen Arbeiter ausübte.

 

Opium für das Volk

 

Vordergründig wurde der Fußball entpolitisiert um als „Opium für das Volk“ zu dienen. Hintergründig nutzte aber der Staat die fußballspezifischen Eigenschaften Kampfkraft und Teamgeist propagandistisch aus, stellte sie als typisch arische Tugenden dar und wollte so die Identifikation zwischen Fußballanhängern und Nazidiktatur steigern. Indem der Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten den Übertritt von ATSB-Sportlern bewusst leicht machte, beabsichtigten die Nazis auch die linksorientierte Arbeiterschaft mit Hilfe des Fußballs stärker an das Regime zu binden. Die übergetretenen Spieler versuchten oft, auf sportlichem Weg ihren Gegnern die Stirn zu bieten, um ihre persönliche Opposition weiterzuführen.

 

In dem Maße, wie nach und nach vom ATSB über die kommunistische „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ (RS) bis zur katholischen Deutschen Jugendkraft (DJK) alle Sportverbände nach der Machtergreifung ausgeschaltet wurden, biederte sich der DFB den Nazispitzen an und schaltete sich quasi selber gleich. Der DFB existierte als Fachamt Fußball im Reichsausschuß für Leibesübungen weiter. Bezeichnenderweise war der damalige DFB-Präsident Felix Linnemann SS-Obersturmbannführer.

 

Der Höhepunkt jeder Fußballsaison war natürlich das seit 1937 immer im Olympiastadion stattfindende Endspiel in Berlin. Die Nazis pflegten diese Finals bombastisch zu inszenieren und als arische Fußballfeste zu feiern. So wurden heroische Siege, wie der sensationelle 9:0-Erfolg Schalkes gegen Admira Wien um die erste großdeutsche Fußballmeisterschaft 1939 nach dem Anschluss Österreichs gerne gesehen. Erst recht, weil große Siege deutscher Fußballarbeiter gegen Wiener Intellektuellenkicker die Euphorie und das Gefühl der Unbesiegbarkeit noch steigerte. Der 9:0-Erfolg gegen Admira Wien war Wiedergutmachung für das vermutlich geschobene Endspiel ein Jahr zuvor gegen Hannover 96.

 

Damals unterlagen die Schalker an gleicher Stelle nach merkwürdigen Schiedsrichter­entscheidungen 3:4 gegen die Niedersachsen. „Es musste mal eine andere Mannschaft Deutscher Meister werden, sonst wäre es langweilig geworden. Die anderen haben ja schon richtig Angst ins Endspiel zu gehen, weil sie ja doch von Schalke geschlagen werden“, sagte von Tschammer und Osten abends auf dem Bankett.

 

Daraus darf resümiert werden: Die Nazis griffen in den Spielbetrieb ein und die Mannschaften waren in diesen Situationen hilflose Marionetten. Den deutschen Vereinen erging es besser als den Wiener Fußballclubs, die alle gleichgeschaltet wurden. Der jüdische Fußballclub Hakoa Wien wurde direkt verboten und zerschlagen, die Mitglieder verfolgt. Der „Gentleman“-Club Austria Wien, ein großbürgerlicher Intellektuellenverein mit ebenfalls vielen jüdischen Mitgliedern, wurde von den Nazis übernommen und weitergeführt. Mit Rapid Wien verfuhren die Nationalsozialisten im Prinzip ähnlich wie mit Schalke 04. Sie instrumentalisierten Rapid als gutbürgerlichen Arbeiterverein, um die linke Arbeiterschaft über den Fußball zu kontrollieren.

 

Die Schalker Spieler wurden im Kriegsdienst im Vergleich zu den Wiener Kickern bevorzugt behandelt. Waren die Leistungsträger der „Ostmark“, so hieß der Spielbezirk, an den Fronten in ganz Europa zerstreut und so die Meisterschaftsrunden eine Farce, so lief der Spielbetrieb im „Altreich“ und bei Schalke etwas geordneter ab. Kuzorra und Szepan waren Feldwebel bei einer Flakeinheit für Katastropheneinsätze in Essen-Kray. Die Freistellungen wurden anfangs großzügig gewährt, und waren sogar ab 1942 nicht unmöglich. Die meisten Spieler standen zumindest bei Beginn des Krieges in Garnisonen in Mühlheim und Münster. Anfangs hatten sie an den Wochenenden Urlaub, um für die Knappen zu kicken. Unter der Woche verstärkten sie oft die Soldatenmannschaften. Aber spätestens seit 1943 endet die relative Bevorzugung der Spitzenspieler – nicht nur der von Schalke 04. Besonders junge Spieler, bei den Knappen etwa Bernhard „Natz“ Füller, werden wie ihre Altersgenossen an die Front geschickt. Urban und Füller fielen im Krieg, Hans Klodt wurde verwundet. Walter Berg geriet in tschechische Kriegsgefangenschaft, bei einem Fluchtversuch wurde er erschossen.

Hinweis
Aufgrund der positiven Resonanz noch einmal der Hinweis, dass jeder Schalker die Möglichkeit hat Texte an folgende E-Mail Adresse zu senden: info@schalkermarkt.de