Vielleicht täte der FC Schalke gut daran, die Stimmung auf den Rängen der Arena nicht zu unterschätzen. Es gärt im Klub, der immer viel Hoffnung in sich trägt, aber zuletzt wieder einmal seinen Ansprüchen meilenweit hinterlief… Ein Bericht über keine Stimmung.

Es war angekündigt: Unter dem Motto „Wohlfühloase Schalke – heute haben wir nur eine Halbzeit Bock!“ hatten die Ultras Gelsenkirchen aufgrund gravierender Mängel sowohl im sportlichen Auftreten der Mannschaft als auch der Außendarstellung des Vereins für die erste Halbzeit des Spiels gegen den SC Paderborn zu einem Support-Boykott aufgerufen. Fast 200 Fanclubs und Gruppierungen schlossen sich dem Anliegen an, anders als sonst die Mannschaft in Vorleistung treten zu lassen, bevor lautstarke Unterstützung erfolgt.

Da der Stimmungsboykott Thema in allen Medien war, versuchte der FC Schalke 04, ihm möglichst die Wirkung zu nehmen. Bereits beim Einlaufen ignorierte die Mannschaft die Nordkurve, vor der sie sonst den „Schulterschluss“ mit ihren treuesten Unterstützern vollzieht, nahezu vollständig.

Die fast etwas gespenstische Stille übertünchte auch die extralaut eingespielte Stadion-Musik nicht. Außer den Traditionsfahnenschwenkern rührte sich auch beim Steigerlied – sonst Garant für eine bunte optische und akustische Unterstützung – kaum eine Hand oder Kehle.

Viele Fahnen-Proteste

Zahlreiche Zaunfahnen von Arena-Dauergästen wie „Dudenhofens Sohn“, „Vreden“ und „Kluti’s Ennepetal“ standen aus Protest auf dem Kopf, hinzu kamen kritische Banner insbesondere in Richtung des Aufsichtsratschefs Clemens Tönnies. „Alles hat ein Ende, auch die Tönnies-Wurst“, „CT: E. V.? SMS? Mund halten!“ oder „Clemens, Dein Licht brennt lange nicht mehr“ mit einem am „Leuchtturm“ Tönnies zerschellenden Schalker Dampfer war dort in Anspielung auf die Aussagen zum jüngst suspendierten Kevin-Prince Boateng zu lesen. Aber auch Sportvorstand Horst Heldt („169 cm Inkompetenz“) und „Mannschaft? Schämt Euch!“ bekamen ihr Fett weg.

Des einen Leid war des anderen Freud: So gut und so laut werden die tapferen Paderborner Fans wohl nie wieder in einem fremden Erstliga-Stadion zu hören sein. Nach ihrer schwarz-blauen Choreographie „Amore par siempre“ hatten sie die akustische Lufthoheit.

An Stelle des in den vergangenen Jahren von der Mannschaft präsentierten „Saisonabschlussbanners“ hatten die Verantwortlichen diesmal eine Einblendung auf dem Videowürfel gewählt – eine gute Entscheidung, da ein fröhliches Transparent der sonst üblichen Machart „Alles super, wir leben Dich“ vermutlich das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hätte. Doch der gewählte, durchaus selbstkritische Text „VIELEN DANK für Eure tolle Unterstützung. Ihr wart großartig. Wir nicht. Nur mit Euch geht’s in eine neue, erfolgreiche Saison 15/16!“ wurde leider nicht einmal ansatzweise mit Leben erfüllt.

Die auf mehreren Positionen umgestellte Schalker Mannschaft irrte mit hilf- und planloser Aura gleich einem spielerischen Boykott über den Platz, die aufopferungsvoll kämpfenden Gäste scheiterten mehrfach nur knapp an Torhüter Ralf Fährmann.

Blieb die Nordkurve zunächst stumm mit einigen kleinen akustischen Zuckungen bei den Zwischenständen aus den anderen Stadien, kamen zunehmend Pfiffe und Lobgesänge für Huub Stevens. Dazu gab es weitere Banner „Vermisstenanzeige! Kurve sucht Mannschaft, Finderlohn garantiert!“, „Wir haben ein Ausgabenproblem, kein Einnahmenproblem“, „CT: Kein Konzept, aber dauerhaft in den Medien“ und „Der FisCh sTinkt vom Kopf“ brachten die Kritik an der kämpferischen Einstellung der Mannschaft und den zahlreichen verbalen Störmanövern von Tönnies auf den Punkt. Drastischer noch wurde ein berühmtes Assauer-Zitat abgewandelt: „Der Schnee ist geschmolzen, nun sehen wir die Kacke!“

Mit Hohngesängen „Oh, wie ist das schön…“ und gellenden Pfiffen ging es in die Kabine, nach der Pause gab es die Zugabe: Aus dem durchaus variablen Schalker Liedgut wurden mit „Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler gehen…“ und „Asoziale Schalker“ bewusst Texte ausgewählt, die deutlich machen sollten: Ihr tragt unsere Trikots, nicht wir Eure!

Die Botschaft verhallte indes ungehört, ein kämpferisches Aufbäumen der königsblauen Kicker blieb aus; der Unmut der Kurve entlud sich in „Tönnies-raus“-Rufen ebenso wie Beschimpfungen der „Scheiß-Millionäre“. „Wir ham die Schnauze voll“ und diverse Huldigungen an vergangene Schalker mit Kampfgeist wie die Eurofighter, Gerald Asamoah und Ebbe Sand, Pfiffe beim Verlesen der Zuschauerzahl und demonstrativer Applaus für den Underdog aus Paderborn komplettierten das Bild.

Ein Bild, das trotz des äußerst glücklichen Sieges, der „Ruhrgebietsmeisterschaft“ vor den schwarzgelben Nachbarn und der Qualifikation für die Euroleague weit mehr ist als eine Momentaufnahme: Die Gräben zwischen den Schalker Fans und den Spielern und Verantwortlichen sind so tief wie lange nicht mehr. Nicht einmal der Zoff um die umstrittene Ticketbörse viagogo vor zwei Jahren hat eine dermaßen tiefgreifende Unzufriedenheit mit nahezu allen Verantwortlichen herbeigeführt.

Die Schalker Fans, in Madrid noch von ganz Europa für ihre Unterstützung gerühmt, sind offenbar restlos bedient von einer vollkommen leidenschaftslos auftretenden Mannschaft und schier unendlichen Aussagen insbesondere des Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie haben nicht verstanden, worum es den Anhängern, die zig Meilen und Stunden für den Verein abreißen, wirklich geht: Leistung statt populistischer Sprüche und mit eher unausgegorenen 1.000-Euro-Ideen und ständigem Kokettieren mit der verankerten Rechtsform Unruhe reinzubringen.

Schalker Team zurückbeordert

Nach dem Schlusspfiff gab es viel Applaus für die Verlierer; die Schalker Spieler hingegen verschwanden zunächst grußlos in der Kabine, wurden aber von einem Pfeifkonzert und „wir woll’n die Mannschaft sehen“ noch einmal hinausgerufen. Mit hängenden Köpfen durften sie sich von der Nord weitere Pfiffe, Beschimpfungen und „Außer Fährmann könnt Ihr alle gehen!“ anhören, was zumindest bei Draxler kurz die Sicherungen durchbrennen ließ. Er lieferte sich ein hitziges Wortgefecht mit einigen Fans, wurde aber von seinen Mannschaftskameraden zurückgezogen.

Insbesondere jüngere Spieler wie Goretzka, Sané oder Matip schauten sehr bedrückt aus der königsblauen Wäsche, während einige der „Teueren“ wie Choupo-Moting trotz der extrem angespannten Stimmung fröhlich in die Runde grinsten. Anschließend belagerten zahlreiche Fans den VIP-Eingang und diskutierten hitzig mit Heldt; nur den Sicherheitskräften ist es zu verdanken, dass die Situation nicht eskalierte.

Die Schalker Verantwortlichen wären gut beraten zu verstehen, dass es dieses Mal mit Aussitzen in der Sommerpause und netten Filmchen auf der Jahreshauptversammlung vielleicht nicht mehr getan ist. Der eingetragene Verein FC Schalke 04 e. V. ist kein Spielball einer elitären Clique, sondern „gehört“ seinen Mitgliedern. Und die haben heute deutlich gemacht, dass sie sich nötigenfalls nachdrücklich zu Wort melden, wenn keine Kurskorrektur erfolgt.

Hinweis
Aufgrund der positiven Resonanz noch einmal der Hinweis, dass jeder Schalker die Möglichkeit hat Texte an folgende E-Mail Adresse zu senden: info@schalkermarkt.de