Es war ein langer Sonntag in Gelsenkirchen: Mit dem „Mitgliedertag“ im Vorprogramm dauerte die diesjährige Schalker Jahreshauptversammlung über acht Stunden. Von emotionalen Momenten über Lacher, Schuldeingeständnisse und deftige Kritik bis zu einem stattlichen Schwung königsblauen Pathos‘ wurden sämtliche Register gezogen.

Aufgrund des großen Andrangs am Einlass – 9.268 Schalker wollten dabei sein – musste der Beginn der Mitgliederversammlung zunächst verschoben werden; die Zeit wurde mit Ausschnitten aus dem Musical „Kennst Du den Mythos?“ und unzähligen Fotos und Selfies mit den anwesenden Schalker Profis überbrückt. Als besonders charmant und geduldig erwies sich dabei neben Torhüter Ralf Fährmann auch der mit großem Applaus begrüßte neue Chefcoach André Breitenreiter.

Großer Beifall für Assauer und „Blondie“

Den größten Beifall aber bekamen zwei verdiente Schalker Größen der Vergangenheit: Standing Ovations für Managerlegende Rudi Assauer und Sympathieträger Gerald „Blondie“ Asamoah, dessen „letzte Schicht“ am 14. November in der Arena steigt.

Zwei Anträge auf Ausschluss der Medien werden mit deutlicher Mehrheit der Mitglieder abgeschmettert. Die Ehrungen für die 25jährige Vereinsmitgliedschaft waren aufgrund der Vielzahl der Jubilare vorverlegt worden, die „50jährigen“ wurden hingegen von Aufsichtsratsvorsitzendem Clemens Tönnies selber zelebriert. Unter ihnen befand sich auch der Mitbegründer der Knappenschmiede und heutige Koordinator für internationale Beziehungen Bodo Menze, der ebenso wie sein Nachfolger als Leiter der Nachwuchsabteilung Oliver Ruhnert mit den siegreichen A-Jugend-Meistern großen Anklang bei den Mitgliedern fand.

Satzungspaket gescheitert

Mit der Begeisterung war es jedoch vorbei, als Clemens Tönnies die Versammlungsleitung für die Satzungsänderungsanträge an Dr. Jens Buchta übergab und dieser sich sämtlichen Bedenken gegen die Blockabstimmung der Änderungsanträge kategorisch verschloss. Nach dem Willen der Satzungskommission sei es ein Gesamtantrag, den man nicht auseinanderreißen könne, beschied er den beiden Rednern, die Geschäftsordnungsanträge auf getrennte Abstimmung stellen wollten, damit die Mitglieder keine „Kröten schlucken“ müssten.

Seinen herablassenden Umgang mit den Bedenken konnten auch die beiden Mitglieder der Satzungskommission, die für den gemeinsamen Kompromiss und die Verankerung der Erfordernis einer Dreiviertelmehrheit für eine etwaige Ausgliederung warben, nicht mehr wettmachen: „Nur“ 63,2 % Zustimmung, damit wurde die erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp verfehlt, das gesamte mühsam erarbeitete Satzungspaket ist gescheitert!

Zur Sonderumlage

Wesentlicher deutlicher fiel die von Finanzvorstand Peter Peters verteidigte Erhöhung der möglichen Sonderumlage („wir wollen ja nur die Möglichkeit schaffen…“) durch; satte 80,7 % der Mitglieder stimmten dagegen. Auch wenn es für die Festsetzung eines weiteren Beschlusses der Mitgliederversammlung bedurft hätte und das Geld nicht für die Profiabteilung verwendet werden dürfte: Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder war nach dieser Saison offenbar der Meinung, eher ihr Geld zurückbekommen zu müssen, „Attacke“ mit dem leise ausgesprochenen Zusatz „Umlage ist…“ schallte durch den Innenraum.

Die Ergänzungen des Leitbilds hingegen wurden per Handzeichen mit eindeutiger Mehrheit angenommen.
Novum und dementsprechend erstauntes Raunen im Publikum, als Clemens Tönnies die vom Wahlausschuss zugunsten von vier neuer Kandidaten nicht mehr zur Wiederwahl zugelassenen Aufsichtsräte Uwe Kemmer und Ingolf Müller zu „letzten Worten“ ans Mikrofon ließ. Beiden war die Verärgerung über den erzwungenen Abschied deutlich anzumerken.

Schwache Kandidaten für den Aufsichtsrat

Die „suboptimale“ Stimmung, die diese beiden Stellungnahmen auslösten, schien sich auf die folgende Vorstellung der vier neuen Bewerber zu übertragen: Stefan Blaschak, Dr. Andreas Horn, Ludger Wibbeke und Thomas Wiese erreichten in den Augen vieler Schalker nicht ihre Topform von der Vorstellung in der Flora; zudem musste die bereits in vollem Gang befindliche Abstimmung aufgrund eines nicht näher erläuterten technischen Fehlers gestoppt und wiederholt werden, obwohl zahlreiche Schalker die Pause für Flüssigkeits- und Nikotinaufnahme nutzen wollten. Schauriges Warteschleifengedudel statt königsblauer Musik zerrte zusätzlich an den Nerven. Das Ergebnis war gleichwohl deutlich: Jeweils über 4.000 Stimmen für Thomas Wiese und Dr. Andreas Horn, die beide strahlend ihre Plätze auf der Bühne einnahmen.

Die folgende Blockwahl des unveränderten Ehrenrats lief glatt durch; die Berichte der Gremien konnten beginnen. Peter Peters betonte Umsatzsteigerungen, Schuldenabbau und die gute Stellung des FC Schalke 04 in Europa, die Versammlung wartete indes ungeduldig auf Sportvorstand Horst Heldt. Begleitet von zahlreichen Pfiffen schritt dieser zum Rednerpult und lud in einer emotionalen Rede kräftig Asche auf sein Haupt: Ja, es sei eine „beschissene Saison gewesen“, der Fußball sei schlecht gewesen und daran trage er die Verantwortung.

Zukunftsvisionen…

So viel kritische Selbsterkenntnis wurde neben „hört, hört!“-Rufen auch mit Applaus bedacht; Heldt wurde mutiger („nur wer nichts macht, macht keine Fehler, aber damit kann man keine Profimannschaft zusammenstellen!“) und zeichnete seine Zukunftsvision von Schalke: Die Mannschaft erhalte gerade die dringend nötige Blutauffrischung, Boateng und Sam bleiben suspendiert; zudem wolle er das Wort Wohlfühloase nicht mehr hören.

Für die Profis gibt es künftig einen 15seitigen Verhaltenskodex. Für die Schlusspointe, in der er auf das „169 cm Inkompetenz“-Transparent vom letzten Heimspiel einging, gab es anerkennenden Applaus: „169 cm Arbeit, 169 cm Leidenschaft, 169 cm Schalke!“ wolle er sein.

Im Gegensatz zu Heldt durfte Alexander Jobst eine ruhige Jahreshauptversammlung verleben: Beifall für seinen Arbeitsnachweis mit neuen Werbepartnern, gestiegenen Marketing- und Sponsorenumsätzen und erfolgreichen SocialMedia-Aktivitäten: Rund 5 Millionen Nutzer weltweit erreichen die königsblauen Kanäle täglich – so verfügt Schalke beispielsweise hinter dem FC Barcelona und Real Madrid, Uchida sei Dank, über den dritterfolgreichsten japanischen Auftritt aller europäischen Clubs.

Die Kumpelkiste

Der Verein möchte seine Popularität nunmehr auch verstärkt für Bedürftige nutzen und lanciert die Sachspendenkampagne „Kumpelkiste“, bei der Schalker nicht mehr benötigte Sachen an hilfsbedürftige Menschen abgeben sollen. Mit einem kleinen Feuerwerk „explodierte“ passend zur Vorstellung eine überdimensionale Kumpelkiste neben der Bühne, trockener Kommentar aus dem Publikum: Zwei Jahre Stadionverbot wegen Pyrotechnik!

Anschließend stieg Clemens Tönnies für den Aufsichtsrat in den Ring „ich stelle fest: Doch nicht alles Scheiße auf Schalke!“ Auch er gab sich selbstkritisch: Ja, auch er habe Fehler gemacht und sich zu viel in die Tagespolitik eingemischt. Aber er habe verstanden und sich seit Wochen total aus der Öffentlichkeit zurückgezogen… Das Publikum traute dem Braten noch nicht so Recht; als Tönnies aber ins Mikro donnerte, er wolle mit der Mär aufräumen, dass er für eine Ausgliederung sei; er verspreche, so lange er auf Schalke sei, werde Schalke ein eingetragener Verein bleiben!“ waren viele wieder versöhnt.

Taten folgen lassen

Prompt gab es wieder Schelte („Gesänge wie „Außer Fährmann könnt Ihr alle gehen“ sind nicht okay“) und Eigenlob („ich habe die Aufwendungen für die Knappenschmiede verdoppelt statt halbiert, als Anfang der 2000er Jahre das Geld knapp war!“). Mehrheitsmeinung im Publikum: Eine gute Rede, aber Tönnies muss ihr Taten folgen lassen und sich zurücknehmen. Begeistert begrüßt wurde hingegen seine Ankündigung, dass künftig Huub Stevens, Mike Büskens und Ebbe Sand als sportlicher Beirat dem Aufsichtsrat zur Seite stehen.

Vor der anschließenden Aussprache setzte eine größere Abwanderungswelle ein, die Kioske zur Ausgabe der Voucher für das Sondervorkaufsrecht waren indes noch geschlossen. Die Schlange der Redner war beeindruckend, das rhetorische Talent sehr unterschiedlich. Die meiste Zustimmung gab es für eher handfeste Beiträge „Tönnies hat sich aufgeführt wie ein Elefant im Porzellanladen!“, „die 1.000 €-Idee passt nicht zum Leitbild, dass sich alle Schichten auf Schalke wohlfühlen sollen!“, „wir wollen Spieler, die sich 90 Minuten den Arsch aufreißen“ und „im Fanshop gibt es nix Vernünftiges für Menschen ohne Normgröße!“

Freibier

Alljährliche Dauergäste am Mikrofon waren ebenso vertreten wie Neulinge, ein kritischer Beitrag u. a. zum Ehrenrat und der Außendarstellung („Alfred Draxler scheint oft besser informiert als die Gremien!“) der zur Nichtentlastung „als Denkzettel“ aufrief, bekam deutlich vernehmbaren Applaus, die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat erfolgte trotzdem mit großer Mehrheit.

Gegen 19.15 dann die erlösenden Worte: ES GIBT Freibier! Noch schnell das Vereinslied geschmettert und den Staub des Tages aus den Kehlen gespült und eine anstrengende, aber weitgehend faire Jahreshauptversammlung ohne die vielfach befürchteten Schläge unter die Gürtellinie war Geschichte.

Hinweis
Aufgrund der positiven Resonanz noch einmal der Hinweis, dass jeder Schalker die Möglichkeit hat Texte an folgende E-Mail Adresse zu senden: info@schalkermarkt.de