“Ich bin angegriffen worden. In meinem eigenen Stadion. In meinem eigenen Block. Von der Polizei, die mich schützen sollte.“ Das sagte beileibe kein Hooligan oder Ultra, das sagte ein ganz „normaler“ Fan aus der Nordkurve nach dem Spiel gegen PAOK Saloniki. Ca. 200 Polizisten zogen in die Schalker Nordkurve und testeten Schlagstöcke und Pfefferspray weidlich aus.

Wie war es dazu gekommen? Die Anhänger von PAOK Saloniki, trotz Vollkörperkontrollen gut mit Bengalischen Feuern, Böllern und ausgesucht diffamierenden Bannern ausgestattet, fühlten sich provoziert. Provoziert von einer Fahne in der Nordkurve, die sie, ehrlich gesagt, von ihrem Standpunkt aus gar nicht richtig lesen konnten. Und sie drohten, die Nordkurve zu stürmen.

Daraufhin beschloss die Polizei, ohne sich für die Meinung des Fanbeauftragten zu interessieren, dass diese Fahne volksverhetzend und damit abzuhängen sei. Und das setzte sie mit aller Gewalt durch. Wohlbemerkt, sie hinderten nicht etwa die Griechen daran loszuprügeln und bauten sich dort auf, nein, sie zogen zu den Schalkern, und prügelten dort selbst.

Was ist das bitte für eine Logik? Gehe ich demnächst zur Polizei, sage, mein Nachbar ist doof, ich fühle mich von seiner Existenz beleidigt und drohen ihn verprügeln, wenn er nicht in die nächste Stadt auswandert? Geht dann die Polizei hin und verprügelt ihn für mich? Für einen sichtlich überforderten Einsatzleiter auf Schalke offensichtlich logisch. Die linke Szene gab übrigens im Nachklapp rasch den Hinweis, dass diese ganz speziellen Freunde und Helfer aus Wuppertal und Münster kommen und dafür bekannt seien, immer ganz vorne dabei zu sein, wenn es darum gehe, jemandem das Gesetz mit dem Schlagstock einzubleuen. Oder das, was sie dafür halten.

Und was stand jetzt auf der ach so volksverhetzenden Fahne? Rechte Sprüche, wie sie in Aachen, Dortmund, Leipzig, Dresden usw. zuhauf hängen und dort von der Polizei immer irgendwie überlesen werden? Nein, es handelte sich um die Fahne der Komiti-Fans aus Mazedonien. Darauf steht deren Name und zu sehen ist auch die Fahne des Landes Mazedonien. Die Fahne hängt da übrigens unbeanstandet schon seit Jahren.

Kurzer Exkurs: Die EU und auch deutsche Politiker haben Mazedonien, um es vereinfacht zu sagen, übel mitgespielt. Auf Druck Griechenlands, dessen nordwestlichster Zipfel auch irgendwie Mazedonien heißt, dürfen sie nicht einmal offiziell ihren Namen führen – deswegen lesen wir immer „frühere jugoslawische Republik Mazedonien“ beim „Eurovision Song Contest“. Weil diesem Volk sogar ihr Landesname geraubt wurde, mit Segen der deutschen Politik, der der Pleitegeier, der schon in der EU ist, lieber ist als ein Staat, der sich nur bewirbt. Ein Skandal für sich. Dessen ungeachtet ist Mazedonien EU-Beitrittsland, Mitglied der Vereinten Nationen und seine Fahne – die in klein eben auf auch dem roten Banner prangte – nirgendwo in der Welt verboten, ungesetzlich oder als „volksverhetzend“ gebrandmarkt.

Übrigens, Vertretungen Mazedoniens gibt es in Berlin, Bonn, München und Düsseldorf. Da werden sicher auch diese Fahnen hängen. Rückt da jetzt auch die Polizei mit Pfefferspray und Schlagstöcken ein? Ich hoffe auf einen offiziellen Protest Mazedoniens. Es kann sich ja mal den Herrn Innenminister Ralf Jäger einbestellen zu einem gehörigen Satz gepfefferter … Argumente.

Anscheinend lernt man auf der Polizeischule so Kleinigkeiten nicht, was diese EU eigentlich so ist und welche Länder sich bei ihr so beworben haben. Den Beamtenstatus bekommt man anscheinend ja trotzdem geschenkt. Und man lernt auch diese lustige Sache mit der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ wohl schon gar nicht.

Es ist nämlich auch völlig egal, was auf jener Fahne zu sehen gewesen war. Selbst eine volksverhetzende Fahne rechtfertigt nicht den exzessiven Einsatz von Polizeikräften, Schlagstöcken und Pfefferspray, auch wenn die Polizei das im Nachklapp behauptet. Herr Jäger, kommen Sie bitte Ihrer Fürsorgepflicht nach und lassen sie untersuchen, ob vielleicht die Polizeihelme die Luftzufuhr zum Gehirn abklemmen: Bei einem gut mit Sauerstoff versorgtem Gehirn muss einem das einfach auffallen, wenn man nur einmal einen Blick in das Grundgesetz geworfen hat – oder die Landesverfassung –, auf die Beamten so ihren Eid schwören.

Ach ja, Herr Jäger: Die SPD, der Sie auch angehören, hat sich neulich für ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert. Ein Blick in die Chronik zeigt, was diese verdiente Partei von Polizeistaat und -willkür eigentlich so hält. Und dann gucken Sie sich den Einsatzbericht an. Vielleicht fällt Ihnen was auf. Ein Rücktritt wäre das Mindeste. Eingereicht am besten auf Ihrem Parteibuch. Den Einsatzleiter können Sie übrigens auch gleich mitnehmen in den Ruhestand.

Und noch einen können Sie auch noch gleich fristlos aus dem Polizeidienst befördern: denjenigen „Ordnungs“hüter, der der Meinung war, er müsse einen der Sanitäter an der Ausübung seiner Pflicht hindern, indem er ihn gezielt mit Pfefferspray bedachte, als er den Opfern der offensichtlichen Polizeiwillkür mit Wasser helfen wollte. Aus eigener Anschauung und nach mehreren Augenzeugenberichten kann ich Ihnen versichern, dass das wohl kaum aus Versehen geschehen ist, das war zu gezielt. So eine Tat kostet eigentlich den Beamtenstatus. Ohne Umwege.

Nur wird all das nicht passieren. Der Einsatzleiter wird persönlich – wie immer – eben keine Konsequenzen tragen müssen, vielleicht sogar noch einmal mit so einer Aufgabe betraut werden. Auch der Beamte, der einen Sanitäter verletzt hat, wird nicht einmal mit einem blauen Auge, sondern ohne dasselbe davonkommen. Beide haben nicht als Person, sondern als Staatsmacht gehandelt, und müssen keine persönlichen Konsequenzen fürchten. Auch hier hat der demokratische Staat dringenden Nachholbedarf. Die Aufklärung und Ahndung von Polizeigewalt in Deutschland wird nicht umsonst von Organisationen wie „Amnesty international“ regelmäßig gemahnt. Bisher vergeblich.

Konsequenzen wird das aber für andere haben: Es wird sicher Stadionverbote hageln. „Das ist die Retourkutsche dafür, dass Schalke die Stadionverbote ausgesetzt hat“ (wieder dieser „normale“ Fan). Und diese werden kommen, ungeachtet der Tatsache, dass der Verein FC Schalke 04 in einer kaum zu überbietenden und hoch zu schätzenden Deutlichkeit klarstellt, dass das Verhalten der Polizei in jeder Beziehung unverhältnismäßig gewesen ist. Zur Not geht die Polizei eben wieder zum DFB, wie schon bei der Nummer mit dem Dortmunder Flughafen, und der ist willfährig genug.

Man darf sich nicht gegen Polizeiwillkür wehren, und sei es nur dadurch, dass man nicht schnell genug Platz machen kann, wenn die schwarze Masse einmarschiert wie in ein Kriegsgebiet. Solche Szenen kennen wir vom Taksim-Platz. Hier war die deutsche Politik schnell mit Verurteilungen zur Hand. Ob diese hier auch kommen? Man darf es abwarten; ich glaube nicht daran. Schuld werden wieder die Fußballfans sein.

Liebe Bundeskanzlerin Angela Merkel: Bevor Sie das nächste Mal mit der Türkei schimpfen, gucken Sie sich die Videoaufnahmen des Einsatzes an. Ein jeder kehr’ vor seiner eignen Tür, da hat er Dreck genug dafür. Lieber Außenminister Guido Westerwelle, machen Sie doch mal einen Besuch bei der mazedonischen Botschaft und erklären Sie denen das Handeln der Polizei im Rechtsstaat Deutschland. Lieber Landtag im NRW, ich erwarte eine Sondersitzung. Steinigen Sie – bitte nur verbal – den Innenminister. Liebe regierungsbeteiligte Grüne, denken Sie an Ihre Zeiten, als sie noch demonstrieren gingen, und treten Sie Ihrem Koalitionspartner – bitte nur verbal – in den Allerwertesten. Wir wollen uns ja nicht auf das Niveau Ihrer „Ordnungs“hüter begeben.

Aber die Polizei ist ohnehin dabei, zum Staat im Staat zu werden und ganz nebenbei die Gewaltenteilung auszuhebeln. Und das mit dem Hausrecht, das in Stadien herrscht. Es werden gegen alle, die auch nur in der Nähe der Fahne standen, sicher Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Die Polizisten haben schön ihre Kameras über alle geschwenkt, die in den vordersten Reihen standen, auch wenn sie abseits standen und ihrer Bürgerpflicht zu Ersten Hilfe nachkamen. Und schon sind alle in der „Datei Gewalttäter Sport“, wie sie früher treffend hieß. Und damit dürfen diese Leute auch massive Einschränkungen in das Grundrecht der Reisefreiheit in Kauf nehmen. Und das ganze, ohne dass ein Gerichtsurteil vorliegt. Nein, über die Stadionverbote und die „Gewaltprävention“ schafft sich die Exekutive – die Polizei – ihre eigene Rechtsprechung, fein unter Aushebelung derselben und der Judikative.

Dieses eine Beispiel mehr zeigt wieder deutlich: Unsere Verfassung wird im Fußball unter dem Vorwand der „Sicherheit“ schleichend ausgehebelt. Hier ist der demokratische Staat mit seinen Organen gefragt – um sich selbst vor seiner Aushöhlung zu schützen. Und auch die demokratische veröffentlichte Meinung wird gut daran tun, sich wenigstens diesmal nicht gedankenlos auf die Seite derer zu stellen, die unseren Staat zur Bananenrepublik machen wollen.

Nachtrag, 11.45 Uhr: Die Polizei hat sich zu einer Pressemitteilung bequemt. Dabei kommt heraus, dass man immer noch nicht weiß, warum es sich um Volksverhetzung handele. Hat halt der griechische Polizist dem Einsatzleiter mitgeteilt, ggf. beim Pissen, man weiß es nicht. Der Einsatzleiter war – das geht aus der PM heraus – nicht in der Lage, eigenständig zu beurteilen, wann eine Volksverhetzung vorliegt und wann nicht. Das wirft die Frage erneut auf, was genau man eigentlich auf einer Polizeischule lernt. Wenn nicht einmal Einsatzleiter der Polizei das Strafgesetzbuch kennen, wie soll man das dann von einem Bürger erwarten?

Ebenfalls liest man aus der Pressemitteilung, dass man die Situation eskaliert hat, um eine Eskalation zu vermeiden. Herzlichen Glückwunsch. Hat ja super geklappt. Man weiß nicht, worin die Volksverhetzung besteht, man hat die Fahne auch nicht sicherstellen können, aber 30 Verletzte. Ist ja super-Polizeiarbeit. Rollen da jetzt mal Köpfe?

Übrigens: Kein Wort über die Sanitäter, die die Polizei verletzt hat. Schon gar keines der Entschuldigung.

Hinweis
Aufgrund der positiven Resonanz noch einmal der Hinweis, dass jeder Schalker die Möglichkeit hat Texte an folgende E-Mail Adresse zu senden: info@schalkermarkt.de