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Es ist das alte Thema: Tradition und Kommerz. Fußballfans wie Vereine müssen den Spagat zwischen diesen beiden Polen schaffen, immer wieder. In Gelsenkirchen fand dazu am Samstag eine Podiumsdiskussion statt. Gastautorin Susanne Hein-Reipen war dort.

Winterpause, öde Samstage, was liegt da näher, als sich dem geliebten runden Leder einmal von einer anderen Seite zu nähern? Faninitiative, UGE und Supporters Club luden gemeinsam mit Schalke.V.ereint zur Vortragsveranstaltung „Zwischen Tradition und Kommerz“ ein. Das Interesse war groß und so konnte Olivier „Oli4“ Kruschinski pünktlich um 15.04 Uhr rund 120 Schalker in der ausgebuchten Gelsenkirchener Flora begrüßen.

Der FC Schalke 04 kann in diesem Jahr auf eine 111jährige Tradition zurückblicken, der Kommerz gehört seit Einführung des Profifußballs ebenfalls dazu, so dass der Schwerpunkt des Nachmittags auf „zwischen“ liegen sollte: Wie kann unser Verein den Spagat schaffen, sich gut zu vermarkten und dennoch die Auswüchse der Kommerzialisierung zu begrenzen?

Als erster Gastredner trat Dirk Rasch (Foto links), langjähriger Präsident des VfL Osnabrück und frischgebackener Autor von „Rettet den Fußball!“ aufs Podium. Der Bogen zu Schalke war schnell geschlagen, konnte er doch auf Spielbesuche in der Glückaufkampfbahn und das zu Beginn seiner Präsidentschaft gemeinsam mit Rudi Assauer organisierte „Rettungsspiel“ für den finanziell stark angeschlagenen Regionalligisten verweisen. Er sorge sich, dass der Kommerz den Sport zerstöre und die Korruption in der FIFA, die beispielsweise zur Vergabe der WM 2022 nach Katar geführt habe, diesen unheilvollen Trend noch verstärke.

Die Leidenschaften der Fans für ihren Verein seien das „Epizentrum“ des Fußballs und dürften nicht durch den Marktradikalismus zerstört werden. Das wunderbar dazu passende Zitat „Profifußball besteht nicht nur aus Soll und Haben, sondern auch aus Tradition und Leidenschaft“ stammte zur Überraschung vieler vom ehemaligen Schalker Finanzvorstand Josef Schnusenberg.

Rasch untermauerte seine These „Tradition so viel wie möglich – Kommerz so viel wie nötig“ im Verlauf seines Vortrags durch viele Zahlen und Beispiele, die ein eher düsteres Licht der Lage zeichneten: Wird über den Videobeweis nicht in erster Linie zur sportlichen Verbesserung der Schiedsrichterentscheidungen, sondern als neuer Finanzierungsweg durch Schaffung von Werbeunterbrechungen diskutiert? Verdrängt der kurzfristige Eventkonsum im Zuge zunehmender Globalisierung und Mobilität die dauerhafte regionale Identifikation mit „seinem“ Verein? Ist es denkbar, dass Bundesligaspiele im Ausland durchgeführt werden, um sich insbesondere in Ländern ohne eigene starke Liga neue Märkte zu erschließen? Es dürfe nicht dazu kommen, dass Schalke gegen den 1. FC Köln in Brüssel oder Stockholm stattfinde! Wenn der Fußball zur reinen Geldvermehrungsmaschine verkomme und die lebenslange Bindung der Fans an ihren Verein tot sei, sei auch der Profifußball tot.

Steuern. Arbeitsplätze

Auf der anderen Seite bringe es angesichts von rund 120.000 Arbeitsplätzen und 2 Milliarden Steuereinnahmen durch den Profifußball alleine in Deutschland nichts, sich der Kommerzialisierung komplett verschließen zu wollen. Die Dominanz der Bayern habe dem Bundesligafußball jedoch bereits viel Attraktivität genommen und diese Situation drohe sich durch die übermächtige Finanzkraft der Münchner weiter zu verstärken.

Ligen wie die Primera Division, in denen zwei Clubs einsam ihre Kreise ziehen, seien langweilig; ein großer Teil der Faszination sei lange gewesen, dass auch die Bayern schlagbar gewesen seien und teilweise „Spannung bis zum letzten Spieltag“ geherrscht habe. Mit dem Beispiel 2001 stand er in diesem Zusammenhang dann knietief im Fettnäpfchen, die Schlussfolgerung, wenigstens die TV Gelder etwas gerechter zu verteilen, fand hingegen großen Anklang.

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Auch eine Gehaltsobergrenze sei sinnvoll, da das Financial Fairplay weder die mit 800 Mio. Euro verschuldeten Real Madrid und Barcelona noch milliardenschwere Oligarchen hindere, Gehälter bis zur „ökonomischen Sinnlosigkeit“ zu zahlen, während beispielsweise in Spanien rund achtzehn Millionen Menschen mit weniger als 1.100 € im Monat auskommen müssten.

Rasch bedauerte, dass das Schiedsgericht auf Drängen von Hannover-Präsident Kind die 50 + 1 – Regelung aufgeweicht und den Mehrheitseinstieg für langjährige Sponsoren ermöglicht hat. Die Bundesliga werde um diese Regel beneidet, die bislang erfolgreich verhindert habe, dass sich Scheichs und Oligarchen die Stimmenmehrheit kauften. Noch nie in der Geschichte des deutschen Fußballs sei ein Verein so unbeliebt gewesen wie RB Leipzig, der von rund 90 der Fußballinteressierten abgelehnt werde. Es hinterlasse einen bitteren Beigeschmack, wenn alle Clubs den sportlichen Erfolg, RB hingegen „den Verkauf von Dosengetränken ankurbeln“ wolle.

Bodenständigkeit erhalten!

Der Vortrag endete mit der Forderung, der Fußball müsse sich unbedingt seine Bodenständigkeit erhalten, wozu neben den finanziellen Obergrenzen auch intensive Nachwuchsförderung, Stehplatzgarantie, fanfreundliche Anstoßzeiten und „mehr Transparenz in den Verbänden“ gehöre. „Bezahlbare Eintrittspreise, Bier und Bratwurst sind die Basis“! Die Kommerzialisierung dürfe nur Begleiter, nicht aber Hauptzweck sein, damit sich der von Nick Hornby beobachtete Negativtrend „Ich verspüre eine allgemeine Entzauberung des Spiels, ein Schwinden des Interesses“ nicht weiter fortsetze.

An den Vortrag schloss sich eine kurze Diskussion an, in die sich auch Schalkers Finanzvorstand Peter Peters, zugleich Vizepräsident der DFL, einschaltete: Der mit Kind geschlossene Vergleich habe verhindern sollen, dass das Verbandsrecht als solches in Gefahr gerate; zudem bemühe sich die Verteilungskommission der Fernsehgelder bereits jetzt um einen sinnvollen Ausgleich u. a. zwischen 1. und 2. Bundesliga, der auch die Diskrepanz zwischen Auf- und Absteigern nicht zu groß werden lassen wolle.

Aus einer völlig anderen Richtung näherte sich nach einer kurzen Halbzeitpause bei Brötchen und Kaltgetränken der zweite Redner dem Thema: Raphael Brinkert ist nicht nur langjähriger Schalker, sondern auch Mitinhaber und -Gründer von Jung von Matts/sports, der Werbeagentur, die u. a. für die Schalker Jahreskampagne 2014/2015 verantwortlich zeichnet. Sein Impulsvortrag führte zu einigen verblüffenden Erkenntnissen.

Klasse halten? Kasse machen!

„Zwischen wahrem Fußball und der Ware Fußball, zwischen Championsleague und zweiter Liga, zwischen Kuzorra und Raúl, zwischen Herz und Verstand“ müsse man sich bewegen, wenn man Schalke bestmöglich vermarkten wolle. Es sei „traurig aber wahr: Wer die Klasse halten will, muss Kasse machen“.

Die wichtigste Frage für sie vor Beginn der Kampagne sei gewesen: Was bedeutet Schalke? Dazu folgte ein Einspielfilm aus den 90ern, in dem sich zahlreiche Schalker u. a. zu der Frage äußerten, warum sie eigentlich Schalker sind. Neben den legendären Bildern von Charlie Neumann, der die weinenden Fans beruhigt, durften auch ein paar bemerkenswerte Frisuren und Oberlippenbärte nicht fehlen, eins wurde aber schnell klar: Schalke ist mehr als nur ein Verein, Schalke ist für viele ein Lebens- und Familiengefühl. Und genau diese Geschichte gelte es weiterzuschreiben.

Einnahmen durch Dritte erhöhen

Ziel der Vermarktung sei auch, die Einnahmen durch Dritte zu erhöhen, um die Kosten für die Fans so gering wie möglich zu halten. Dazu müsse man möglichst viele Menschen, Partner und Sponsoren für den FC Schalke 04 begeistern – und dabei sei die größte Herausforderung, dass es „Leben außerhalb von Schalke“ gebe. Diese Aussage wurde lachend allseits mit „ach watt, böses Gerücht!“ oder „aber nicht in Lüdenscheid!“ quittiert, in einem folgenden Kurzfilm aber brutal deutlich: Der einzige Slogan, den befragte Passanten eindeutig einem Verein zuordnen konnten, war „Mia san Mia“, bei allen anderen wie „Meine Liebe. Meine Stadt. Mein Verein.“ (Köln) oder „Unsere Stadt. Unser Verein. Unsere Leidenschaft“ (Hannover) scheiterten sie kläglich.

Kein Wunder, die Aussage des Experten, ein guter Slogan dürfe niemals austauschbar sein, sonst gehe es ihm wie rund 99,2 Prozent der 12.000 (!) Werbebotschaften, die täglich auf uns einprasseln: Man nimmt ihn nicht wahr.

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Eine erfolgreiche Kampagne brauche neben starken Worten – gutes nichtkommerzielles Beispiel der „Blutspende ist Mutspende“ – Clip des Deutschen Roten Kreuzes mit Julian Draxler – „fünf KO-Kriterien gegen Beliebigkeit und für mehr kommunikative Wettbewerbsfähigkeit“: Konkret, Kontur, Konsequenz, kontinuierlich und kompromisslos. Man müsse sich abheben, dürfe nicht in der Masse der netten Mitbewerber untergehen, um Anerkennung betteln, sondern „auch mal nein sagen“.

Aus diesen Überlegungen sei der Saisonauftritt 2014/15 „1.000 Freunde, unzählige Kumpel“ geboren worden, der auf Bergmannmotive und Maloche setzt – und dessen berühmter „Stollen-Spielertunnel“ es weltweit in die Berichterstattung schaffte. Das Kumpelbild sei so eng, so prägend mit Schalke verbunden, dass es kein Wunder sei, dass der weltweit erfolgreichste Tweet in der Geschichte des Vereins keine Spielerverpflichtung, kein sportlicher Erfolg, sondern die Beileidsbekundung an die betroffenen Kumpel des türkischen Grubenunglücks sei.

Fragen zu Gazprom

Für den enorm kurzweiligen und aufschlussreichen Vortrag gab’s eine Menge Applaus, aber auch einige kritische Fragen, wie denn z. B. die Verbindung mit gazprom nicht nur vor dem Hintergrund der Ukrainekrise zum geschilderten Schalker Kern passe oder wie „Familienbeziehung“ zu Schalke und „Marke verkaufen“ zusammengingen? Zum ersten gab es keine Patentlösung, das zweite sei einfach: Nicht statt, sondern auch. Neben denen, denen das Schalkesein durch Papa und Opa bereits „in die Wiege gelegt werde“, müsse man eben auch weitere Menschen begeistern – „wenn Ihr in Deutschland in eine Sportabteilung geht, welche Trikots hängen da?! Je emotionaler und besonderer wir kommunizieren, desto erfolgreicher werden wir sein!“

Danach traten neben Raphael Brinkert Schalkes Finanzvorstand Peter Peters, die Aufsichtsratsmitglieder Axel Hefer und Ingolf Müller sowie Rainer Vollmer, der königsblaue Vertreter bei „unsere Kurve“ zur Podiumsdiskussion an. Wie kann der Verein den schwierigen Spagat zwischen Tradition und Finanzen bewältigen, wie kann er sich zeitgemäß aufstellen und dennoch die schlimmsten Kommerzauswüchse eindämmen?

Peters betonte, der Verein habe bereits in den 90ern die nachhaltigste Entscheidung, alle Rechte behalten zu wollen, getroffen und trotz zahlreicher Angebote bis heute durchgehalten. Aus diesem Grunde würden wir weiter ein fremdfinanzierter Verein bleiben, man müsse den Leuten „die Angst davor nehmen: Fremdkapital sei nicht zwingend schlechter als Eigenkapital“.

Sponsor. Investor.

Den Unterschied zwischen Sponsoren und Investoren brachte Hefer auf den Punkt: Ein Sponsor gebe vorübergehend Geld, um für sich zu werben und die Bekanntheit zu erhöhen; ein Investor hingegen gebe Geld, weil er sich künftig eine Rendite oder Vorteile verspreche – und das Problem bei Privatinvestoren sei häufig, dass die neben Renommee oder geschäftlichen Kontakten Einfluss haben wollen, denn sonst „könnten sie das Geld ja schenken“.

Müller wies darauf hin, dass man zwar „manchmal eine Kröte schlucken“ müsse, um ihm Geschäft zu bleiben, aber jedwede Vermarktung sich am Schalker Leitbild orientieren müsse. Aus diesem Grunde kämen Rüstungsindustrie, Erotikbranche oder Finanzvermittler als Partner nicht in Frage; nach den Erfahrungen mit viagogo auch keine Ticketbörse mehr.

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Applaus gab es für Vollmers Aussage, dass es Grenzen der Geldgenerierung gebe, fanfreundliche Anstoßzeiten dürften nicht hinter der Vermarktung zurückstehen. Das Vereinsleben und die Tradition müssten die Nummer 1 bleiben, „sowas wie vor zwei Jahren“ dürfe nicht nochmal passieren.

Kunden oder Fans?

Kontrovers wurde zwischen Vollmer und Brinkert die Frage, wo dabei „der Mensch“ bleibe, diskutiert: Ist ein Stadion voller „Kunden“ ebenso gut wie eins voller „Fans“? Kann man das Publikum einfach austauschen? Wie geht es in Hannover, Hamburg oder Leipzig weiter, wo die organsierte Fanszene die Profimannschaft boykottiert oder nicht existiert? Müssen wir nicht die Fans, die Vereinseigenschaft stärker in den Mittelpunkt rücken?

Einer europäischen Gehaltsobergrenze erteilte Peters eine Absage, dies funktioniere nur in den USA als „closed shop“. Kapitalgesellschaften seien nicht per se böse, man müsse vielmehr darauf achten, die „Seele des Vereins mitzunehmen“. Blutgrätschen der Finanzverwaltung – Stichwort Rechtsformverfehlung – seien wohl bis Weiteres nicht zu befürchten, da keiner die enormen Steuereinnahmen gefährden wolle. Leider ging Peters nicht konkret auf die Zukunft des umstrittenen Trainingslagers in Katar (Hefer: „wir positionieren uns als sehr traditionsreicher Verein und müssen das auch leben“) ein, da müsse man abwägen und „mache sicher auch mal was falsch“, aber der Verein brauche nun einmal sichere Einnahmen.

Eher skeptisch sahen Müller und Brinkert eine erweiterte Vermarktung der Knappenschmiede, da die anderen Bundesligisten „auch nicht auf dem Baum geschlafen“ hätten und dies daher nur bedingt ein Alleinstellungsmerkmal sei. Der Ausbau des Jugendleistungszentrums sei enorm wichtig.

Die interessante Diskussion wäre sicher noch eine Weile fortgeführt worden, indes fiel um 18 Uhr der Vorhang in der Flora. Die Diskutanten bejahten alle – wenn auch mit sehr unterschiedlichem Ansatz – die Schlussfrage, ob und warum Schalke 2020 noch ein Verein sei und die Zuschauer waren sich einig: Eine gelungene und hochinteressante Veranstaltung, bitte mehr davon!

Hinweis
Aufgrund der positiven Resonanz noch einmal der Hinweis, dass jeder Schalker die Möglichkeit hat Texte an folgende E-Mail Adresse zu senden: info@schalkermarkt.de